Helmut Augustiniak
Über Nacht waren plötzlich die Maurer weg

Ein Blick auf die Ketziner Schule im Jahr 1959
Vor 50 Jahren wurde der Anbau an die Ketziner Theodor-Fontane-Oberschule eingeweiht

Zeitverzug auf der Baustelle gab es auch in den 1960er-Jahren. In Ketzin kam erschwerend hinzu, dass die Arbeiter für den Mauerbau abgezogen wurde.
Vor genau 50 Jahren, zu Beginn des Schuljahres 1962/63 nahmen die Schüler in Ketzin den Anbau an das Schulgebäude in der Diesterwegstraße in Beschlag. Endlich konnte man das Problem der Raumknappheit in der Oberschule lösen. Der Weg dorthin aber war beschwerlich.
Das erste Schulgebäude in der Havelstadt wurde 1854 neben der evangelischen Kirche - das heutige Kultur- und Tourismuszentrum - errichtet. Zuvor lernten die Kinder mehr als 100Jahre in einem kleinen Haus am Marktplatz.
1874, als die Bevölkerung im Zuge der Inbetriebnahme vieler Ziegeleien rings um Ketzin explosionsartig wuchs, entschieden sich die Verantwortlichen für einen Schulneubau. Es entstand der heutige alte Teil der Theodor-Fontane-Oberschule. Damit war 70 Jahre lang der Bedarf an Unterrichtsräumen in der Stadt gedeckt.
Nach dem zweiten Weltkrieg wuchs die Ketziner Bevölkerung erneut stark an, weil Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten sich hier ansiedelten. Das führte wieder zu einer Schulraumnot. Etwas entspannte sich die Situation, nachdem vier Klassenzimmer in einer Baracke am Feuerwehrdepot geschaffen wurden.
Hans Joachim Krätsch, stellvertretender Direktor an der Ketziner Schule von 1959 bis 1990, schildert die ehemalige Situation im Bildungswesen der DDR so: "Durch den Abbau der einklassigen Dorfschulen entstanden die Zentralschulen. Nach Ketzin/Havel kamen von den umliegenden Dörfern immer mehr Schüler. Die Klassen bestanden oft aus mehr als 40 Schülern. Die Einführung der zehnjährigen Schulpflicht führte in den Schulen sogar zum Schichtunterricht."

Nach harten Auseinandersetzungen mit den Planungsbehörden gelang es dem damaligen Direktor Martin Buche, einen Anbau an das große Schulhaus in der heutigen Diesterwegstraße zu bekommen. Bevor es losgehen konnte, musste die Abrissgenehmigung für ein altes Wohnhaus und das Vorkaufsrecht für ein weiteres Haus vorgelegt werden. Dazu kam, dass der Anbau 600 000 Mark kosten sollte, aber vom Staat nur 500 000 Mark eingeplant wurden. Eine für damalige Verhältnisse übliche Praxis. Die stets fehlenden Baukapazitäten in der DDR musste mit freiwilligen Leistungen im Nationalen Aufbauwerk ergänzt werden. Für die Betroffenen bedeutete das zusätzliche Arbeit und setzte ein großes Organisationstalent voraus. In diesem Fall waren es die Schulleitung in Ketzin/Havel und besonders der stellvertretende Direktor Hans-Joachim Krätsch.

Schon vor Ende des Schuljahres wurden die Arbeitsgeräte für die freiwilligen Helfer beschafft. Die von der Stadt erworbenen alten Gebäude neben der Schule haben Lehrer, Eltern und Schüler abgerissen, um Baufreiheit zu schaffen. Den Schutt verwendete man, um die Havelpromenade aufzufüllen.
Beim Ausheben der zwei Meter tiefen Baugrube stießen die Helfer auf prähistorische Menschen- und Tierskelette und auf Grabbeigaben. Weil die Bauleitung diese Fundsachen nicht meldete, gab es Ärger mit der Forschungsstelle für Urgeschichte.
Im Frühjahr 1960 wurden die Steine für den Anbau geliefert. Zum großen Teil luden die Schüler diese von den Fahrzeugen ab, natürlich während des Unterrichts.
Mit dem eigentlichen Baustart begann eine unglaubliche Pannenserie. Zunächst sollten sich Maurerlehrlinge an dem Schulneubau versuchen. Die machten aber so viele Fehler, dass die Nacharbeiten die Kosten in die Höhe trieben. In der Konsequenz zog man die Lehrlingsbrigade ab. Aber auch die nachfolgenden Gewerke leisteten zu oft schludrige Arbeit. Oder es kam zu Verzögerungen, weil Material fehlte. Es zeichnete sich ab, dass die geplanten zwei Jahre Bauzeit nicht ausreichen würden. Erst recht, als am 13.August 1961 in Berlin die Mauer errichtet wurde. Über Nacht waren dafür alle Bauarbeiter aus Ketzin abgezogen worden.
Die schlechte Bauvorbereitung tat ein Übriges. Die Fenster waren falsch vermessen worden und konnten deshalb nicht sofort eingebaut werden. Zum Glück erteilte die Bauaufsicht eine Ausnahmegenehmigung, nach der die Fensteröffnungen mit Holzlatten passgerecht gemacht werden durften. Neue Fenster gab es erst 1993.
 

Wo damals eine Polsterei war, steht heute der Anbau
Trotz vieler Mängel, die nie beseitigt wurden, wurde der Anbau abgenommen. Allerdings fehlte die Inneneinrichtung. Diese war in der Investitionssumme nicht eingeplant. Als die Ketziner sich bemühten, mit eingesparten Mitteln Möbel zu kaufen, legte der Schulrat sein Veto ein und konfiszierte das Geld. Aber die Ketziner fanden einen Weg, sich aus der Bezirksreserve Mobilar zu besorgen. Ab dem Schuljahr 1962/63 begann der Unterricht im neuen Schulanbau..
Inzwischen stehen die nächsten Arbeiten an der Fontane-Schule bevor. Im Juni 2012 wurden zwei Häuser in der benachbarten Fischerstraße abgerissen. Eine Voraussetzung, um eine Brandschutztreppe an das Schulgebäude zu setzen.
In den nächsten Jahren soll auch eine moderne Aula entstehen. Während der alte Teil der Oberschule schon eine sanierte, hellgrüne Fassade bekommen hat, "ziert" den Anbau noch der alte Rauputz aus DDR-Zeiten. Das werde sich ändern, verspricht Bürgermeister Bernd Lück, der selbst diese Schule besuchte.
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