Helmut Augustiniak
Häufig im Clinch mit der Obrigkeit
Einen besonderen Gast empfing Ketzins Bürgermeister Bernd Lück vor kurzem. Karl Reumschüssel, Enkel des gleichnamigen früheren Bürgermeisters, wollte sich die Wirkungsstätte seines Großvaters ansehen und übergab dem Heimatmuseum der Stadt Kopien von Dokumenten aus dieser Zeit und andere historisch interessante Gegenstände.

Von 1923 bis 1933 war Karl Reumschüssel Bürgermeister in Ketzin. Er trat damals die Nachfolge von Otto Zesch an, der 34 Jahre lang das Amt bekleidet hatte. Die Bewerbungsrede des aus Steinbach-Hallenberg in Thüringen stammenden Mannes hatte die Stadtverordneten überzeugt. Er stellte sie unter das Motto: Niemanden zu Liebe und Niemanden zu Leid. Am 01.Oktober 1923 wurde er in sein Amt eingeführt.
Reumschüssel war damals 39 Jahre alt. Er stammte aus einer Fabrikantenfamilie, sein Vater war Zangenmacher. Nach der Schulzeit begann er im Betrieb des Vaters zu arbeiten, stellte jedoch fest, dass ihm geistige Tätigkeiten mehr liegen. Bevor er nach Ketzin kam, war er in seinem Heimatort Beigeordneter und Vize-Bürgermeister. Seine politische Laufbahn hatte er als Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates nach der Novemberrevolution begonnen. Für die USPD saß er zwei Jahre im Landtag.

Reumschüssel hatte es in Ketzin nicht leicht. Schon bald warf ihm die KPD Korruption vor, es gab Gerüchte über seine schwierige finanzielle Lage und auch Beleidigungen jeglicher Art gegen ihn. Trotz dieser Situation leistete er als Bürgermeister Bedeutsames. Unter seiner Amtsführung wurde das Abwassernetz ausgebaut, die Wasserversorgung auch in den Mietskasernen installiert und beispielsweise auch die Neue Straße, heute Breitscheidstraße, mit Granitpflaster versehen. Zudem setzte er sich dafür ein, die durch den Tonabbau entstandenen Wasserlöcher mit Berliner Müll aufzufüllen.
Gegner dieser Müllablagerungen war der Besitzer der Späthschen Baumschule Hellmuth Späth. Er wollte aus Ketzin eine Gartenstadt machen, Reumschüssel wollte Arbeitsplätze schaffen. Es entwickelte sich daraus der Kampf des Sozialdemokraten gegen den Großunternehmer.

Ob das Engagement Reumschüssels nur uneigennützig war, ist nicht geklärt. Kritiker warfen ihm vor, im Besitz von Betriebsanteilen an der Vorketziner Mülldeponie zu sein. Reumschüssel bestritt dies. Er gab lediglich zu, an den Deponien Etzin und Buchow-Karpzow beteiligt zu sein. Belastet wurde er dann aber vom Rechtsanwalt des in Insolvenz gegangenen Berliner Müll- und Abfallentsorgungsbetriebes, der Vorketzin als Müllhalde gepachtet hatte. Der teilte dem Regierungspräsidenten von Potsdam mit, dass der Bürgermeister Reumschüssel auch Anteile am Betrieb in Vorketzin erworben habe. Reumschüssel legte daraufhin im November 1931 alle Ehrenämter nieder. Der Landrat verbreite unwahre Behauptungen über ihn, sagte er. Trotz eines versöhnlichen Briefes des Landrates an Ketzins Bürgermeister blieb das Verhältnis danach dauerhaft gestört. 

Angreifbar war Reumschüssel wegen seiner finanziellen Verhältnisse. Er hatte eine Familie mit fünf Kindern zu versorgen. Vermögen besaß er nicht. Einmal ließ er sich vom Magistrat einen Gehaltsvorschuss von 1200 Mark genehmigen, den er nicht zurückzahlte.
Am 27.März 1933, die Nazis hatten die Macht übernommen, eröffnete der Regierungspräsident ein Dienststrafverfahren gegen Reumschüssel und enthob ihn seines Amtes wegen Korruption und Vorteilsnahme im Amt.
Anschuldigungen aus der Bevölkerung, vor allem von NSDAP-Mitgliedern, prasselten auf ihn nieder. Der Wirt des SA-Sturmlokals gab an, dass sich Reumschüssel öfter mit Bürgern geschlagen habe. Ein anderer behauptete, er hätte in der Ziegelei Jöllenbeck gestohlen. Die Gemeindeschwester, die mit ihm im selben Haus wohnte, warf ihm vor, dass er dort lagernde museale Bronzeschwerter für die Gartenarbeit verwende. Ein Ketziner Tierarzt gab zu Protokoll, dass Reumschüssel die NSDAP im November 1932 als Verbrecherpartei bezeichnet habe. Zur Last gelegt wurde ihm auch, dass er 1933 Veranstaltungen der NSDAP verboten haben soll.
Als schlimmstes Verbrechen sahen aber die NSDAP-Mitglieder und die Mitglieder des SA-Sturmes 22/224 die Tatsache an, dass Bürgermeister Reumschüssel das Hissen zweier Hakenkreuzfahnen vor dem Rathaus verhindern wollte. Diese wurden nach der Machtübernahme Hitlers morgens am Mast hochgezogen, dann von SA-Männern bewacht und abends wieder eingeholt. Reumschüssel führte nun einen Magistratsbeschluß herbei, der das Hissen unterbinden sollte. Es fand sich aber keiner, der den Beschluss umsetzte.
Alles dies führte dazu, dass der kommissarische NSDAP-Bürgermeister einem Untersuchungsführer Dokumente übergab, die die feindliche Einstellung Reumschüssels gegenüber dem Dritten Reich beweisen sollten. Der Ortsgruppenführer der Ketziner NSDAP beantragte beim Landrat, Reumschüssel in Schutzhaft zu nehmen. Sonst würden die SA-Männer das übernehmen. Der Landrat stimmt zu.
Der kommissarische Bürgermeister nahm Reumschüssel am 07.Juli 1933 in Schutzhaft. Dagegen intervenierte Reumschüssels Sohn beim Landrat. Dieser stellte eine Entlassung Reumschüssels in Aussicht, wenn er Ketzin verlassen würde. Das sicherte Reumschüssels Sohn zu.
Nach der Haftentlassung war Karl Reumschüssel  als Rendant im Havelstauverband Berlin tätig, allerdings nur solange die NSDAP ihn dort gewähren ließ. Seine Entlassung aus dem Staatsdienst erfolgte am 16. August 1933. Am 10.Mai 1934 wurde das gegen ihn anhängige Dienststrafverfahren eingestellt.
Bis zu seinem Tod war Reumschüssel Privatsekretär in Berlin. 1940 starb er nach einer Operation in einem Krankenhaus. Er wurde in seinem Geburtsort Steinbach-Hallenberg beerdigt.
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