Helmut Augustiniak
Knoblauch - Die Geschichte eines Dorfes, das immer mehr in Vergessenheit gerät
Knoblauch und sein Schicksal: Kohlenmonoxid
Der erste Bürgermeister von Knoblauch war nach dem Krieg Erich Marzilger. Er wurde am 20.Mai vom Landrat in Nauen in sein Amt eingesetzt. Sein Bruder Paul war Bürgermeister in Seeburg und sein Bruder Emil Vorsitzender der KPD im Kreis Nauen. Erich Marzilger ist in Knoblauch geboren. Er war als Junge Knecht bei einem Bauern, danach lernte er Schmied in Markee und arbeitete dann bei Siemens in Berlin.
Er hat es schwer als Bürgermeister, da er von der Verwaltungsarbeit und auch von der Landwirtschaft wenig versteht. Alles muss er sich schwer erarbeiten. Als die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt wird, melden sich in Knoblauch 1945 zehn Bewerber und 1946 nochmals zehn. Man bemüht sich, den Boden gerecht zu verteilen. Im Dorf wurde nur der Bauer Seefeldt enteignet, der 124 Hektar Boden besaß. Die Neubauern beginnen 1949/50, sich eigene Häuser mit eienm Stall zu bauen. Bis dahin lebten sie sehr beengt nebeneinander in den Großbauernhäusern oder den ehemaligen Arbeiterhäusern der Bauern.
Der Bürgermeister und die Gemeindevertreter versuchen die täglichen Aufgaben zu bewältigen, um das Leben erträglicher zu gestalten. Heute erscheinen viele Probleme als Kuriosität: Rotarmisten stehlen einem Bauern den Heurechen, als er auf seiner Wiese arbeitet. Sie spannen die Ochsen aus und fahren mit dem Rechen davon. Der Bürgermeister protestiert erfolglos bei der Kommandantur. In einer Gemeindevertretersitzung ermahnt er die Mitglieder, sie sollten doch mit ihren Ehepartnern an den Veranstaltungen der Nationalen Front und an den Stalinfeiern teilnehmen. Die jungen Gemeindevertreter werden ermahnt, nicht so oft bei den Sitzungen zu fehlen. Am 25. Januar 1951 wird beschlossen, mit der Gemeindevertretung Imbsen im Kreis Minden in Briefwechsel zu treten. Dazu wird ein Briefkollektiv aus fünf Gemeindevertretern gebildet. Der erste Brief ist bis zum 1. Februar 1951 abzuschicken.
Das Jahr 1952 verändert das Leben im Dorf. Die ersten landwirtschaftlichen Genossenschaften werden in der DDR gegründet. Im Kreis Nauen ist Etzin das erste Dorf. Am 20. März 1953 wird in Knoblauch die Genossenschaft gegründet. Nur den Vorsitz will keiner übernehmen. So wird Käthe Marzilger, die Frau des Bürgermeisters, die erste Vorsitzende. Die Genossenschaft wird am 23. März 1953 unter der Nummer 20 der neu gegründeten LPG'n beim Rat des Kreises eingetragen.
Die LPG Knoblauch soll eine Muster-LPG werden, ein Modellfall. Die Patenschaft übernimmt die SED-Bezirksleitung, als künftiger Vorsitzender wird ein frisch ausgebildeter Fachschulabsolvent als Agronom ins Dorf geschickt. Bis 1955 hat sich die Knoblaucher LPG zu einem Vorzeigebetrieb entwickelt. Im Oktober des Jahres besucht Walter Ulbricht mit einer sowjetischen Partei- und Staatsdelegation die Genossenschaft. Damit hat Knoblauch die höchste Weihe erhalten. Der Betrieb muss sich weiterhin vorbildlich entwickeln. Und er macht es - aus eigener Kraft. Es werden Arbeits- und Lebensbedingungen geschaffen, wie es sie auf einem Dorf in so guter Qualität noch nie gab. Die Mitglieder wachsen zu einer Gemeinschaft zusammen, wie es sie auch in vergangenen Zeiten nie gab. Das hat nur einen Nachteil, jeder neu Hinzugekommene braucht sehr lange Zeit, ehe er akzeptiert wird. Das Leben im Dorf läuft normal weiter.
Im Juli 1961 wird in einem Artikel in der "Märkischen Volksstimme" über Ereignisse in Knoblauch berichtet, deren Auswirkungen für das Leben der Dorfbewohner noch nicht abzusehen waren.
Zwei Bohrtürme stehen im Dorf und zwei vor dem Dorf. Bis 1963 soll hier ein Untergrundgasspeicher gebaut werden, der ab 1965 das in ihm gelagerte Gas in ein Verbundnetz abgibt. Die Knoblaucher beschäftigen sich nicht mit dem, was unter der Erde vor sich geht. Sie ahnen nicht, wie sehr die unterirdischen Ereignisse einmal ihr Leben über der Erde verändern werden.
Am 9. September 1964 wird die Ringleitung des Untergrundgasspeichers mit Gas gefüllt und die zwölf Sonden geschlossen. Nichts Außergewöhnliches passiert. Das Leben auf der Gasblase wird den Knoblauchern zur Gewohnheit. Doch im Winter 1965 tritt zum ersten Mal Gas aus. Mal wird in einem Haus überhöhter Kohlenmonoxid-Gehalt festgestellt, mal wieder nicht. Bald ist ein Viertel der Bewohner des Dorfes unterwegs abends in Notquartiere zu ziehen und morgens in ihre Wohnungen zurückzukehren, um diese zu lüften. Keiner weiß, wann das ein Ende hat. Im Sommer 1966 explodiert eine Sonde. Vier Tage dauert es bis die Leute vom Bohrtrupp sie abdichten können.
Die Knoblaucher verlangen von den Verantwortlichen des Desasters Aufklärung darüber, wie so etwas passieren kann und ob weitere Gefahren bestehen. Sie sehen ein, dass bei neuen Technologien Unvorhergesehenes passieren kann, lassen sich beruhigen und wenden sich ihrer Arbeit zu. Aber noch bevor das Jahr zur Neige geht, geschieht etwas, das die entscheidende Wende des Dorfes Knoblauch herbeiführen soll. An einem nebligen Sonntag im Oktober reißt von der Sonde gleich hinter dem Gasthaus ein Ventil ab. Eine Fontäne von Wasser, Gas und Sand faucht in die Luft. Die Dächer ringsum sind im Nu weiß. Die Leute löschen hastig das Feuer in den Öfen, packen ihre Sachen und stehen mit Bettzeug und Koffer auf der Straße. Sie wissen im Moment nicht, was zu tun ist. Der Schaden an der Sonde wird behoben. Aber in fast allen Wohnhäusern stellen die Meßtrupps erhöhten CO-Gehalt fest.
So kann es nicht weitergehen. Am 22. Dezember 1966 beschließt der Ministerrat der DDR die Aussiedlung. Die Bewohner werden in gerade fertig gestellte Neubauten in Markee, Falkenrehde und Ketzin untergebracht. Die Bewohner des Dorfes werden mit einer solchen Großzügigkeit für die Aussiedlung entschädigt, dass sie stumm werden und nicht mal ihren nächsten Verwandten erzählen, wie viel Geld sie vom Staat bekommen haben.
Ende 1967 beziehen viele der ehemaligen Bewohner Knoblauchs Neubaublöcke in Ketzin am Mühlenweg. Diese heißen noch heute Knoblaucher Blöcke. Arbeit finden sie in der LPG "Otto Grotewohl", die sich auf Eier- und Broilerproduktion spezialisiert. Sie wird eine der wohlhabendsten Genossenschaften in der DDR.
Das Dorf Knoblauch existiert nicht mehr. Die Wohnhäuser und die Kirche wurden vom Staat gekauft und abgerissen. 
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